Der Theatermacher Calle Fuhr im Gespräch mit Dramaturgin Laura Guhl
LG: Du bist freier Theatermacher und bereitest journalistische Recherchen oder Reportagen für die Bühne auf. Wie entscheidest du dich für ein Thema oder wie kommen die Stoffe zu dir?
CF: Die Stoffe entstehen immer durch Gespräche. Ich komme aus dem Rheinland, ich quatsche sehr gerne und sitze mit Leuten zusammen. Wir unterhalten uns dann über die Welt und meistens liegt dort ein Anfangspunkt, wo wir uns fragen: „Warum wissen wir dazu eigentlich nichts?“. Vor Monopoly saß ich im Sommer 2023 mit Christian Tschirner und Aljoscha Begrich vom OSTEN-Festival zusammen. Da war gerade das Urteil vom Bundesverfassungsgericht gefällt worden, dass der Schritt der Bundesregierung, Corona-Gelder für Klimaschutzmaßnahmen umzuwidmen, nicht möglich sei. Wir haben uns gefragt, wo jetzt das Geld für Investitionen in Richtung Klimaneutralität herkommen soll. Über Umwege sind wir dann relativ schnell bei der Schuldenbremse gelandet. Dort mussten wir feststellen, dass wir über die Herkunft, die Funktionsweise und die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse nicht allzu viel wissen. Das war so ein Initialmoment, in dem wir beschlossen haben: „Lass uns auf die Reise gehen.“
LG: Was macht die Schuldenbremse zu einem Gegenstand für die Theaterbühne?
CF: Ich finde gerade die Themen, die nicht nach einer Bühne schreien, besonders interessant. Bei so einem Thema wie der Schuldenbremse haben wir erst einmal Berührungsängste. Das Thema ist trocken, da geht es um Zahlen, um die große Finanzwelt, von der wir alle nicht so richtig was verstehen. Aber genau das fixt mich an. Denn das Tolle ist, dass jeder Stoff, wenn man einmal diese Hemmschwelle überschritten hat, voller theatraler Momente ist, voller Konflikt, Drama, Irrtümern und eigenen Interessen. In diesen vermeintlich trockenen Themen das Dramatische zu entdecken – da habe ich Freude dran.
LG: Wie geht dann der Autor Calle Fuhr vor, um aus vielen Fakten und Perspektiven einen Theaterabend zu machen?
CF: Für Monopoly habe ich mich bei dem Muster der klassischen „Heldenreise“ bedient. In dem Fall werde ich dann selbst zum Protagonisten, stapfe durch die Welt und gebe mir eine Aufgabe – eine zukunftsfähige Welt für meinen Neffen zu hinterlassen. Ich fange dann an, kleine Prüfungen zu durchlaufen. Die Prüfungen bestehen in dem Fall darin, diese unfassbar komplexe Welt der Volkswirtschaft ein bisschen besser zu verstehen. Der Rechercheprozess wird dann zu einer Art Roadmovie durch die Gefilde der Finanzpolitik.
LG: Calle Fuhr verwandelt sich also in eine Bühnenfigur. Mit was für Eigenschaften stattest du diese Figur aus?
CF: Sie ist erstmal naiv. Sie geht ohne großes Vorwissen in ein Thema rein, ist offen und nicht ideologisch geprägt. Meine private politische Haltung versuche ich nicht auf die Bühne zu bringen. Meine Privatismen haben da erstmal nichts zu suchen. Meine persönlichen Werte natürlich schon. Deswegen ist Offenheit vielleicht das Wichtigste für diese Figur. Ich will nicht, dass meine Darstellung der Schuldenbremse einer Partei nützt oder schon in der Konzeption gegen eine Partei schießt. Es ist wichtig, dass diese Figur wirklich verstehen will und sich nicht mit halbgaren Antworten zufriedengibt – wie wir es im Alltag gerne tun. Sie muss immer weiter hinterfragen.
LG: Wo wurde der private Calle Fuhr überrascht in der Recherche?
CF: Ich glaube, die größte Überraschung war, dass wir es hier mit einer Denkschule zu tun haben, die sich durchgesetzt hat. Aber dass diese Denkschule eben nicht die Wahrheit ist. Ich dachte immer, wirtschaftliche Prozesse laufen nach klaren Regeln ab, wo es ein Richtig gibt und ein Falsch. Doch das ist nun einmal nicht der Fall. Die Art und Weise, wie wir unseren Staatshaushalt planen, wie wir Inflation bekämpfen oder wie wir versuchen, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, folgt vielmehr Annahmen und Glaubenssätzen. Volkswirtschaft ist auch eine Geisteswissenschaft. Das hat meinen Blick auf Finanzpolitik und die Berichterstattung darüber komplett gedreht.
LG: Oft arbeitest du mit journalistischen Kollektiven wie CORRECTIV oder DOSSIER zusammen. Wie überprüfst du dich und dein Material, wenn du – wie im Fall von Monopoly – allein arbeitest?
CF: Durch die Zusammenarbeit mit CORRECTIV und DOSSIER habe ich journalistische Techniken gelernt, wie ein Faktencheck funktioniert zum Beispiel. Da muss man hart mit sich ins Gericht gehen. Jede Behauptung, die ich im Skript tätige, schaue ich mir nach Fertigstellung des Textes noch einmal an und klopfe sie auf ihre Haltbarkeit ab. Diesen Faktencheck stelle ich dann auch online zur Verfügung, damit meine Recherche nachvollziehbar, aber auch korrigierbar wird. Als Performer wiederum gibt mir das dann einen Schutzpanzer, eben weil ich weiß, dass jede Behauptung hier belegt ist.
LG: Hast du für deine Form von faktenbasiertem Reportage-Theater Vorbilder?
CF: Am ehesten kommen meine Vorbilder für diese Form aus dem Bereich der Stand Up-Comedy. Seit ich Jugendlicher bin, finde ich so beeindruckend, mit wie wenig man eine Welt erschaffen, über Welt erzählen – und auch einfach unterhalten kann. In Deutschland wäre das so jemand wie Hagen Rether, in den USA Tig Notaro, Demetri Martin, Mike Birbiglia und viele, viele weitere. Von denen lerne ich am meisten: darüber, wie du über eine Stunde lang mit nichts als dir selbst ein Publikum fesseln kannst. Darüber, wo ein Gag hilft, wo er ablenkt. Und das Wichtigste: Wie ich ein großes Thema leidenschaftlich vermitteln kann.